Susannes Blog

Dazuge-HÖREN II  

Als schwerhöriger Mensch ist es schwer dazuzuge-hören, vorausgesetzt man geht nicht fortwährend völlig an seine Grenzen oder auch darüber hinaus in die Erschöpfung. Hören bzw. verstehen ist mit einem hohen Energieaufwand verbunden.

In der Welt der guthörenden Menschen brauche ich einen enormen Kraftaufwand, um – vor allem bei akustisch nicht optimalen Bedingungen – verstehen zu können. Dabei ergeben sich viele, viele Situationen in denen ich mich ausgeschlossen fühle. Es sind unter anderem die zwischendurch gesprochenen Sätze im Vorübergehen am Gang, oder im lauten Speisesaal/Restaurant, sobald mehr als eine Person am Tisch spricht, diese leise oder undeutlich oder auch in einem anderen Dialekt redet.

Daraus wird ersichtlich, dass ich in der Welt der Guthörenden nicht so recht dazuge-höre, da ich oft nicht mithalten kann. Zu den gehörlosen Menschen kann ich nicht gehören, weil ich dazu erstens nicht ausreichend gut gebärde (was sich ja ändern ließe) und zweitens – was viel bedeutender ist – ich keine Gehörlosen kenne. Hier auf Reha sind ja viele gehörlose Menschen, aber das ist eine Ausnahme.

Ich gehöre also zu keiner Gruppe so richtig dazu.

Mein Verhältnis demgegenüber ist gespalten.

Einerseits schmerzt es mich, vor allem auch, weil es ein Lebensthema von mir ist. Ich fühlte mich schon als Kind nicht ausreichend geliebt. So war ich ausgegrenzt von der Liebe der Eltern. Es macht mich heute noch betroffen, wenn ich ein Foto von der kleinen Susanne im Kindergarten sehe. Alle lachten nur eine nicht. Ich suchte in meiner Kindheit und Jugend immer nach Liebe von anderen Menschen, vergebens auch nach der Liebe meiner Eltern. Dadurch entstand ein Gefühl, nirgends dazuzugehören. Eine weise Frau sagte mal zu mir: Vergesse nie, dass du (aufgrund deiner Familiengeschichte) nicht so sein kannst wie andere und somit immer anders bist. Die gleiche Frau sah das auch in meinem Horoskop verankert. (Gegenüber Horoskopen bin ich immer ein wenig skeptisch.)

Heute kann ich meist gut damit umgehen. Klar schmerzen mich immer wieder Situationen, in denen ich nicht mit kann, aber es gibt da auch viel Heilung in mir durch die Liebe zu mir. Heute stehe ich in gutem Kontakt und in Liebe zu mir und das macht mich nicht einsam, denn ich habe mich und natürlich auch eine kleine Welt, in die ich sehr gut passe und in der die anderen zu mir passen ;). Eine Welt, die mir sehr wertvoll ist und für die ich zutiefst dankbar bin.

Warum ich das alles und vor allem so offen schreibe: Weil es vielen Menschen ähnlich ergangen ist, wenn die konkrete Geschichte auch anders aussehen mag, und sie ähnlich empfinden (siehe dazu auch die Anmerkung über die Randgruppen im Artikel Wünsche an die Fee). Ich will ihnen eine Projektionsfläche sein und dabei mein Verständnis für ihre Lebenssituation aussprechen.

Nun zum andererseits: Dieses Nicht-Dazuge-HÖREN hat auch eine gute Seite. Ich habe bedeutend mehr Zeit für mich, die ich brauche, um gut in Fühlung und infolge in Liebe mit mir zu sein. Mit oberflächlicher Kommunikation konnte ich noch nie. Sie kostet viel Zeit und diese ist mir zu kostbar, um sie zu verschwenden. Meine Erfahrung ist: Je mehr Zeit ich für mich und mit mir habe, desto wohler fühle ich mich, desto mehr gelingt es mir im Augenblick zu leben, desto mehr bin ich in Liebe zu mir, desto besser geht es mir……

Anmerkung: 2011 schrieb ich den ersten Artikel dieser „Serie“ DazugeHÖREN – wohin bloß?.

P.S. Ich habe heute bedeutend besser geschlafen.

P.P.S. Ich packe jetzt meine Koffer, um ins andere Haus zu ziehen.

8 Kommentare zu „Dazuge-HÖREN II  

  1. Liebe Susanne,

    gerade wollte ich dir schreiben und fragen, ob du heute Nacht besser geschlafen hast, da lese ich deinen Beitrag! Gut geschlafen und Umzug, schön, dass sich die Dinge zum Guten gewendet haben 🙂

    Ich habe auch von Mittwoch auf Donnerstag und die Nacht drauf auch nach längerer Zeit mal wieder sehr schlecht und kurz geschlafen und an diesen TAgen auch die Ohren wieder gespürt. Es war wohl Vollmond meinte meine Tochter, die auch schlecht geschlafen hatte und von einer Studienfreundin drauf hingewiesen wurde. Ich beschätige mich mit dem Thema bisher nicht, aber ein merkwürdiger Zufall ist es schon…

    Vielen Dank, dass du alle Informationen und Gedanken mit uns teilst! Interessant, wie oft die Diagnose MM wohl auch fälschlicherweise gestellt wird. Aber egal was es ist, ich bin recht sicher, dass es beide Ohren betrifft, obwohl die Hörstürze in Tieftonbereich nur auf dem linken Ohr waren.
    Leichter Druck, ein Kribbeln oder Kitzeln auf beiden Ohren, das kannte ich vorher einfach gar nicht.

    Ich habe langsam in meinen Lebensrhythmus zurückgefunden, das heißt ich kann wieder schlafen und das Essen macht wieder Freude. Beides Dinge, die fürs Wohlbefinden und Lebensglück so unglaublich wichtig sind! In meinen 52 Lebensjahren hatte ich schon öfter bei starke Belastungen mit Schlafproblemen reagiert.
    Bei Schlafmangel kostet der Alltag so unendlich viele Kraft, es fehlt der Schwung und Optimismus, das Glas ist halb leer und nicht halb voll…

    Dennoch beschäftigt mich das Thema Schwerhörigkeit und MM sehr, ich nehme viel bewusster wahr wenn andere etwas nicht verstehen oder merkwürdig reagieren und bin mir sehr sicher, dass häufig Schwerhörigkeit die Ursache ist. Ich kann alles was du zu diesem Thema schreibst gut nachvollziehen und beobachte mit Schmerz schon länger beim meinem Papa dieses Phänomen: sobald mehrere Leute zusammen sind oder Hintergrundgeräusche ‚hängt er ab‘. Er ist 76, das ist bestimmt die altersbedingte Schwerhörigkeit. Oft schätzt man Menschen als etwas trottelig oder abwesend ein, dabei haben sie’s nur akustisch nciht verstanden!
    Davor habe ich Angst, ich liebe Gesellschaft und gute Gespräche!!

    Ein Chef hat mir zu Weihnachten vor ganz vielen Jahren folgenden Spruch zukommen lassen:

    Drei Wünsche

    Die Gelassenheit,
    alles das hinzunehmen, was nicht zu ändern ist,
    die Kraft,
    alles das zu ändern, was nicht länger zu ertragen ist und
    die Weisheit,
    das Eine vom Anderen zu unterscheiden.

    Dieser Spruch passt zu mir, ist eine Lebensaufgabe für mich Grüblernatur.
    Ich versuche, das JETZT zu genießen, mir nicht ständig Sorgen zu machen was werden könnte und versuche manches leichter zu nehmen, was nichts mit öberflächlich oder leichtfertig zu tun hat.

    So, nun wünsche ich dir von Herzen noch gute Tage in der Reha !

    Lieben Gruß
    Sabine

  2. Hallo liebe Sabine :),

    danke dir fürs Teilen deiner Gedanken. Mich freut das sehr.

    Auch bei uns war ich nicht die einzige, die schlecht schlief. Der Mond hat gewiss einen Einfluss auf unseren Schlaf und unser Wohlbefinden. Ich habe das schon länger beobachtet.

    Ich finde es eigenartig, dass bei dir beide Ohren betroffen sind. Auch das haben nur sehr wenige an Morbus Menière erkrankte Personen.

    Leid tut mir, dass dein Papa diese Einschränkung erfahren muss und ich wünsche dir vom Herzen, dass dir diese Erfahrung ganz erspart bleibt.

    Danke dir auch für den Spruch. Ich kannte ihn bereits, lese ihn aber immer wieder gerne.

    Was mich ausgesprochen freut ist, dass du in deinen Lebensrhythmus zurückgefunden hast und sich dabei dein Schlaf normalisiert und die Lust am Essen wieder zurückgekommen ist. Das klingt einfach wunderbar und gesund :)! Möge es dir weiterhin so gut gehen! Möge dir auch weiterhin gelingen im JETZT zu leben und nur dann zu grübeln wenn es darum geht, umzusetzen was ansteht.

    Sei mir herzlich gegrüßt und hab’ ebenso so eine gute Zeit
    Susanne

  3. Liebe Susanne, ich denke wir haben da einiges gemeinsam. Ausgehend von der Erfahrung, in der Kiindheit nicht – genügend – geliebt worden zu sein bzw. es zumindest nicht empfunden zu haben, bis zur Nichtzugehörigkeit. Ersteres hat sich – ohne iins Detail gehen zu wollen – dramatich zugespitzt, das Zweite ist mir von Jahr zu jahr deutlicher geworden. Sicherlich könnte ich mich eindeutig zu den Behinderten meiner speziellen Bauart definieren, allerdings hat in meinen Augen unser Bundesverband jahrzehntelang eine für mich inakzeptable Appeasement-Poliitik betrieben, zudem fand ich bei anderen Betroffenen wenig Bereitschaft, die Rolle eines Behinderten zu reflektieren, erst recht nicht, sie öffentlichkeitswirksam oder gar politisch zu formulieren. Ich habe mich – aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt, jahrzehntelang Single – ins Intellektuelle, ins Lesen und ins Kreative gerettet. All dies bedeutet natürlich nicht, daß ich im Real Life, erst recht nicht virtuell ohne soziale Bindungen wäre, aber sie sind anders, fragiler und von mir empfunden niemals komplett. LG Jost

    1. Hallo lieber Jost,
      hab vielen lieben Dank dafür, dass du von dir schreibst. Deine Zeilen berühren – wie so oft – mein Herz. Diesmal rufen sie ein tiefes Mitgefühl hervor, indem sich Traurigkeit erhebt, weil du ja auch ein Spiegel meiner Geschichte bist. Zudem spüre ich dein Sehnen nach einer „kompletten Bindung“, die ich dir vom Herzen wünsche.
      Die Rolle des Behinderten zu reflektieren sind meiner Wahrnehmung nach nur sehr wenige behinderte Menschen bereit. Auch bei den Schwerhörigen ist dies nicht anders. In mir ist diesbezüglich eine Erwartungshaltung da, die nicht erfüllt wird. Reflexion geht für mich in die Tiefe und macht das Leben für mich erst lebenswert.
      Zwei Fragen möchte ich gerne an dich richten und ich freue mich, wenn du sie mir beantwortest.
      Meinst du mit „Kreative“ deine Gedichte?
      Wie ist der Satz „Ich habe mich – aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt“ zu verstehen?
      Sei mir herzlich gegrüßt
      Susanne

  4. Ich arbeite seit 1994 nicht mehr im erlernten Beruf. Der Kündigungsschutz für Behinderte ließ den Arbeitgebern eine Einstellung nicht opportun erscheinen. Auch vorher arbeitete ich nur als Aushilfe bzw. mit befristetem Vertrag, sieht man von der durch das Arbeitsamt geförderten Ausbildung ab. 1995 erkrankte ich zudem an Krebs. Das hieß, ich konnte mich etwa ein Jahr nicht um Arbeit bemühen – und es war ein weiteres Hindernis, da ja ein Rückfall nie auszuschließen war. Schon Ende der Neunziger fragten mich Arbeitsamtsmitarbeiter, weshalb ich dort noch erschiene, denn Geld bekam ich nicht,vermitteln konnten sie nicht. Nach dem Tod meines Vaters und einer Erbschaft habe ich mich selbst finanzieren können und auf weitere Vermittlungsbemühungen verzichtet. – Ich habe von 2004 bis ca. 2009 vor allem Rezensionen zu Büchern geschrieben und diese in Blogs veröffentlicht, seit 2010 schreibe ich Lyrik. LG Jost

  5. Guten Abend Susanne,

    Wenn ich so deine letzten Beiträge lese,
    habe ich den Eindruck, du hast allerhand zu verarbeiten und zu verkraften
    und so eine Reha fordert einen ganz ordentlich, physisch und psychisch, sie verlangt einem neue Einsichten und Entscheidungen ab___
    birgt aber auch wieder neue Chancen!
    Und wie du so schön nach „Kohelet“ geschrieben hast „Alles hat sein Zeit“,
    möchte ich ergänzen: „alles braucht seine Zeit“!

    Ich bin jetzt auch müde und erschöpft, ich gehe schlafen!

    Einen guten neuen Tag morgen!
    Grüße Gisela

    1. Guten Morgen liebe Gisela,
      ja ich habe so einiges zu verarbeiten und verkraften – psychisch und physisch bin ich auch sehr gefordert, so wie du schreibst. Diesmal noch bedeutend mehr als bei der letzten Reha. Letztes mal war sich schlanker, fitter und ich glaube die Einsichten waren weniger schmerzvoll. Aber die Erinnerung ist oft rosiger.

      Es muss wohl so sein. Ich will zu Kräften und weiterkommen auf meinem Heilungsweg der lt. Medizin unheilbaren Krankheit. Sie sagten ja sogar, dass auch bei ausgebranntem Menière (mit Taubheit) noch Anfälle kommen können. Beides braucht seine Zeit. Da bin ich völlig bei dir. Auch das Verarbeiten braucht seine Zeit und ich will mich da nicht hetzen. Für schöne Bilder, ohne selber Autofahren zu können, ist es noch zu bald.

      Ich hoffe, ich habe hier noch die Zeit. Gestern bekam der Schwiegervater noch eine Krebsdiagnose. Daheim würde ich gebraucht werden, zum unterstützen, trösten, umarmen…..

      Danke dir für deine Ergänzung
      Herzliche Grüße
      Susanne

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